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16.04.2024

Pionier des Agrarmarketings: Ein Nachruf auf Prof. Dr. Otto Strecker (1931 – 2024)

Otto Strecker senior veränderte das Verständnis des Agribusiness in Wissenschaft und Praxis

Nach landwirtschaftlicher Lehre und Studium an der Universität Bonn war die Tätigkeit beim damaligen Fachverband der deutschen Futtermittelindustrie in Hamburg eine seiner ersten beruflichen Stationen Ende der 1950er Jahre. Zu den Aufgaben des jungen Referenten gehörte auch die Mitarbeit bei der Herstellung der Zeitungsbögen für die heute in diesem Haus erscheinende Fachzeitschrift „Kraftfutter“. Nach Assistententätigkeit bei Heinrich Niehaus, Promotion und Habilitation wurde er 1965 im Alter von 34 Jahren Professor und Direktor des Instituts für landwirtschaftliche Marktforschung an der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig und dort Nach-Nachfolger von Arthur Hanau, dem „Entdecker des Schweinezyklus“.

1967 erhielt er einen Ruf an die Universität Bonn als Professor für landwirtschaftliche Marktforschung und Direktor des Instituts für Agrarpolitik, Marktforschung und Wirtschaftssoziologie. Die Zeit der Studentenunruhen, die er teilweise als Dekan der Fakultät miterlebte, nutzte er auch für einen inhaltlichen Perspektivenwechsel seines Fachs. Landwirtschaftliche Marktlehre und -forschung war bis dahin vor allem eine Disziplin zur makroökonomischen Analyse und Steuerung der Agrarmärkte. Mit dem von ihm in Deutschland maßgeblich geprägten Agrarmarketing stellte er die eher mikroökonomisch geprägte Perspektive der Landwirte und ihrer Marktpartner in den Mittelpunkt. Sie wurden damit vom Objekt zum Subjekt der betrachteten Marktaktivitäten. Das machte ihn nicht nur zu einem erfolgreichen Autor und Herausgeber von Fachpublikationen, sondern auch zu einem gefragten Ratgeber u.a. als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, als Ausschussmitglied bei CMA, DLG und anderen Institutionen. Mit 35 Doktoranden entstand eine ganze Generation „Bonner Marktforscher.“

Eine Gastprofessur an der Harvard Business School 1971/72 inspirierte ihn zusätzlich. Er brachte von dort nicht nur das Arbeiten mit Fallstudien zurück. Dort traf er unter anderem auf Ray Goldberg, den „Vater des Agribusiness“ und lernte dessen Ideen zur Verknüpfung von Geschäftsmodellen entlang der Wertschöpfungskette kennen und schätzen. Das so verstandene Agribusiness wurde zum Bezugspunkt seiner weiteren Arbeit.

Als sich die Möglichkeit bot, diese Ansätze von der Theorie in die Praxis umzusetzen, gab er 1973 nach wenigen Jahren die Universitäts- und Beamtenlaufbahn wieder auf und wurde CEO der Getreide-Import-Gesellschaft in Duisburg. Der aufstrebende Konzern gehörte zu den nach Umsatz größten 100 deutschen Unternehmen und verfügte über einen umfangreichen internationalen Rohstoffhandel und diverse Tochtergesellschaften (u.a. Deuka) entlang der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Gemeinsam mit internationalen Partnern plante Strecker eine global durchgängige Wertschöpfungskette, als der Wettbewerber Alfred C. Toepfer strauchelte und durch die Übernahme dieses Konsortiums gerettet wurde. Anschließend wurde der internationale Handel in der traditionsreichen Hamburger Gesellschaft konzentriert. (Sie firmiert seit 2014 als ADM Hamburg). Die GIG wurde damit funktionslos und stillgelegt. Sie besteht als Beteiligungsgesellschaft der Landwirtschaftlichen Rentenbank bis heute.

Schon zu Beginn seiner dortigen Tätigkeit hatte Strecker dort eine kleine Beratungseinheit namens AFC gegründet. Sie befasste sich mit der Vermarktung des eigenen Know-hows beim Aufbau agroindustrieller Komplexe in Entwicklungs- und Schwellenländern. 1981 übernahm er die Anteile an der AFC in einem Management-Buy-Out und schied aus der GIG aus. Die Firmierung der AFC wechselte mehrfach. Die drei Buchstaben stehen bis heute für Agriculture & Food Consulting. Die AFC entwickelte sich in der Folge zu einem wichtigen Ratgeber für strategische Fragen der Agrarmarktentwicklung in Entwicklungs- und Transformationsprozessen.

Die die Erweiterung der EU und die Öffnung nach Osten bot in den neunziger Jahren ein breiter werdendes Betätigungsfeld. Der Universität Bonn blieb er als Honorarprofessor verbunden. Er wurde von ihr mit dem Theodor-Brinkmann-Preis ausgezeichnet. Die Akademie für Management und Agribusiness in St. Petersburg ehrte ihn ebenfalls mit der Verleihung einer Honorarprofessur.

Sein internationales Netzwerk nutzte er nach Eintritt in den Ruhestand ab 1996 in dem von ihm mitbegründeten Verein Initiative für evangelische Verantwortung in der Wirtschaft. Zu Beginn förderte dieser vor allem Partnerschaften zwischen deutschen und mittel- und osteuropäischen Unternehmern. Unter anderem dafür wurde er 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Die Aktivitäten der Entwicklungszusammenarbeit wurden von seinem Sohn Otto A. Strecker und den anderen Partnern der AFC Ende der 2000er Jahre veräußert. Die bei Strecker und seinen Partnern verbleibende Strategieberatung erschloss stattdessen eine Reihe neuer Management-Themen entlang der der Wertschöpfungskette des Agribusiness. Sie steht bei der heutigen AFC Consulting Group als Food Value Chain im Mittelpunkt aller Aktivitäten. In ihr lebt die Inspiration von Otto Strecker fort. Der Pionier des Agrarmarketings in Deutschland starb am 23. März 2024 im Alter von 93 Jahren.