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03.05.2019

Lebensmittel Praxis: Von Tierwohl bis Verpackungsmüll

Es ist die Pflicht des Handels, kritische Themen und Trends frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren: Warum das so ist, das erläutert Markus Hinskes von AFC Risk & Crisis Consult im Gastbeitrag.

Das Sortiment und die Anordnung der Produkte sind schon längst nicht mehr die einzigen Themen, mit denen sich der Handel auseinandersetzen muss. Während sich einige Verbraucher damit zufriedengeben, zu wissen, wo welche Produkte zu welchen Preisen zu finden sind, wandelt sich ein anderer Teil der Gesellschaft und hinterfragt zunehmend Unternehmen, Marken und Produkte. Die Öffentlichkeit möchte wissen, warum es das Getränk nur in Einweg-Flaschen gibt und welche Alternativen verfügbar sind, was das Label auf der Verpackung über die Haltungsbedingungen der Tiere aussagt oder wie glaubwürdig Nachhaltigkeit im jeweiligen Unternehmen gelebt wird.
 
Oberflächlich betrachtet sind bei diesen Themen eher die Hersteller in der Pflicht. Aus Sicht der Öffentlichkeit trägt jedoch der Handel die maßgebliche Verantwortung für das gesamte Sortiment und dessen Lieferkette. Hinzu kommt, dass die Marken der Händler zu den wertvollsten in Deutschland zählen. Diese Markenwerte gilt es zu schützen und für die Zukunft zu erhalten. Es ist daher die Pflicht des Handels, kritische Themen und Trends frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren.

Fragt man Entscheider im Handel nach den aktuellen Trends, erhält man momentan meist die gleiche Antwort: Digitalisierung. Betrachtet man jedoch die Themen, welche die Öffentlichkeit in Bezug auf den Handel bewegen, erhält man ein gänzlich anderes Bild. Dieses ist vielmehr von Themen wie Tierwohl, Pestizideinsatz oder Zucker bestimmt. Die Digitalisierung des Handels scheint der Öffentlichkeit herzlich egal zu sein.

Wie diese Themen von den Entscheidern des Handels priorisiert werden, ist dabei häufig von einer eher subjektiven Einschätzung abhängig. Objektivere Erkenntnisse liefern ein Monitoring und die Analyse von Issues. Betrachtet man die Entwicklung einzelner Issues über mehrere Jahre, lässt sich erkennen, welche Themen an Relevanz gewinnen. Dies sind die Issues, welche kurz- bis mittelfristig den Handel prägen werden. Auffällig ist hierbei vor allem, dass das Thema Verpackungsmüll in den letzten Jahren enorm an Relevanz gewonnen hat.
 
Kritik an Verpackungsmüll

Nicht erst seit der Einführung des Verpackungsgesetzes Anfang dieses Jahres ist Verpackungsmüll ein brisantes Thema. Doch mit dessen Einführung muss der Handel mit Kosten für umweltschädliche Verpackungen rechnen. Unter den Verbrauchern spalten sich jedoch die Gemüter: Während die einen noch immer zur Plastiktüte beim Obst greifen, kommt für die anderen die Abschaffung der Gurkenverpackung viel zu spät. Doch gerade die digital-vernetzten, an Fridays for Future teilnehmenden, jüngeren Konsumenten sind geprägt von Bildern plastikgefüllter Wale und Meeresschildkröten mit Plastik-Strohhalmen im Nasenloch. Wenn dies heute schon Alltags- und Kaufentscheidungen der jüngeren Generation prägt, dann weiß man, was auf den Handel zukommt. Händler sollten daher jetzt darüber nachdenken, wie sie diesen Bedürfnissen gerecht werden wollen. Denn eines ist sicher: Die Anzahl der kritischen Berichterstattung zum Thema Verpackungsmüll nimmt zu.

Mehr Transparenz gefordert

Ein weiterer Trend, der für den Handel in naher Zukunft entscheidend sein wird, ist Transparenz – und zwar in all ihren Facetten. Das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach mehr Transparenz zeigte sich in den letzten Jahren vor allem bei Produktherkunft und Nährwertkennzeichnung. Aber auch bei der Preisauszeichnung in Zusammenhang mit digitalen Preisschildern spielt das Thema eine Rolle. Zuletzt rückte Transparenz mit der von foodwatch und fragdenstaat.de eingerichteten Online-Plattform Topf-Secret wieder stark in den Fokus. 

Zumindest die Brisanz des Themas wurde bereits von vielen Entscheidern erkannt. Dies zeigen die Ergebnisse der aktuellen BVE/AFC Studie zum Risiko- und Krisenmanagement. Demnach schätzen die Verantwortlichen aus der Ernährungsindustrie Transparenz als DIE zentrale Forderung von NGOs, Verbraucherzentralen und Medien ein. Nichtsdestotrotz hadern Unternehmen häufig noch damit, wie man dem Thema begegnen kann. Zu häufig noch wird die Gestaltung des Themas anderen überlassen oder – wie im Falle von Topf-Secret – diesem nur Kritik entgegengesetzt. Ein erster Schritt wäre es, sich Anregungen und Ideen in der eigenen Branche zu beschaffen. Mit den Aktivitäten des Fleischkonzerns Vion zu Kontrollergebnissen oder der Bayer AG zu Glyphosat-Studien gibt es schließlich schon erste Ansätze, wie man dem Thema begegnen kann.

Trends und Themen identifizieren

Natürlich erfordert der Umgang mit all diesen Themen Mut, Kreativität und das Hinterfragen des Status quo. Und manch einer wird dies alles sicher auch als Blick in die Glaskugel abtun. Dabei gibt es Instrumente, mit denen man Trends und Themen strukturiert identifizieren und analysieren kann, um dem vermeintlich Ungewissen den Schrecken zu nehmen.Schlussendlich muss jedoch jeder für sich selbst entscheiden, wie hoch die Kosten des Nichtstuns sind. 

In: Lebensmittel Praxis 07/2019 vom 03.05.2019, Seite 40-41